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Der Tänzer als Drehbuchautor
„El bailarín es el director de la orquesta“, behaupten die alten Milongueros, „der Tänzer ist der Dirigent“. Anders gesagt: Der Tänzer zeigt uns die Musik. Er interpretiert sie mit seinem Körper, hebt das eine oder andere Instrument hervor, verzögert hier, beschleunigt dort und macht so auf ganz eigene Weise die Töne eines Tangos sichtbar.
Tanzen -
Tanzen ohne Punkt und Komma
„Wer beim Tanzen die Phrasierungen der Musik nicht berücksichtigt, tanzt als würde er einen Text ohne Punkt und Komma lesen“, sagen Musiker. Tatsächlich kann man auf den Milongas beobachten, dass die meisten Tanzpaare sich am Hauptschlag orientieren. Vielleicht lassen sie den einen oder anderen mal aus, oder sie ‚verdoppeln’ das Tempo -
Warum ist das so?
In den 90er Jahren des vergangenen Jahrhunderts wurden fast ausnahmslos Figuren und Schrittsequenzen unterrichtet. Die Musik wurde dabei viel zu wenig berücksichtigt. „Ein Fehler“, sagen professionelle Tangotanzlehrer heute und geben zu, dass es gar nicht so einfach ist, diese Unterlassungssünde auszugleichen. Die Schüler wiederum merken, dass sie tänzerisch nicht weiterkommen, und dass das Lernen noch einer neuen Figur, noch einer Sequenz nicht viel weiter hilft. Warum das aber so ist, wissen sie häufig nicht.
Die Verwirrung der Tangolehrer
Seit einigen Jahren versuchen deshalb einige Lehrer den Tänzerinnen und Tänzern den musikalischen Hintergrund näherzubringen. Viele Tangoschulen haben den Zug der Zeit erkannt und bieten zunehmend Kurse zu Themen wie „Musikalität“ oder „Rhythmik“ an. Häufig verspricht die Werbung allerdings mehr als die Tangolehrer dann vermitteln können. Die meisten von ihnen beschäftigen sich bis heute mit dem Hauptschlag und der Halbzeit. Für ein abwechslungsreiches, ausdrucksvolles Tanzen ist das aber zu wenig. „‘Wir bemühen uns, den Schülern ein Musikverständnis mit auf den Weg zu geben, aber sie setzen es in der Tanzpraxis nicht um“, beklagen sich die Lehrer. „Unsere Lehrer kennen die musikalischen Zusammenhänge nicht genügend und tanzen selbst nicht so richtig musikalisch“, finden die Schüler.
Fachkundige Lehrer geben je nach persönlichen Erfahrungen ihr Bestes – verwirren die Schüler allerdings manchmal mehr als zur Klärung beizutragen. „Ich habe einige Zeit gebraucht“, berichtet ein Schüler, „bis ich erkannt habe, dass die verschiedenen Lehrer das Gleiche meinen, wenn sie ‚Eins, zwei, drei, vier’ zählen oder ‚eins und zwei und’ auf den Tisch klopfen.“ Ist ein Dritter davon überzeugt, es reiche ein „slow“ und ein „quick“ aus, ist das Durcheinander perfekt. Wenn dann noch Synkopen hinzukommen, weiß keiner mehr, welche „eins“ oder welches „quick“ gemeint ist.
Fundierte Unterrichtskonzepte gibt es kaum, von schulübergreifenden, abgestimmten Lehrinhalten ganz zu schweigen. Wenn es darum geht, musikalische Besonderheiten oder gar Gesamtzusammenhänge zwischen Musik und Tanz zu erarbeiten, bleibt der Tangounterricht bis heute an der Oberfläche. Nur ausgesprochen wenige Lehrer verfügen über das erforderliche Wissen und die entsprechenden pädagogischen Fähigkeiten.
Zwei Profis geben Antwort
Zwei interessante Ansätze, den Tangotänzer ohne Musikausbildung zu unterrichten, bieten Gustavo Naveira und Joaquin Amenábar an:
Gustavo Naveira, argentinischer Profitänzer mit Musikausbildung und seine Partnerin Giselle Anne nähern sich dem Thema aus Sicht der Tänzer. In ihrem Unterricht geht es nicht nur um bestimmte Rhythmen, sondern auch um den Ausdruck des Tanzpaares im musikalischen Kontext. Sie schlüsseln Tangos, Milongas und Valses auf nach den starken Hauptschlägen, den Halbzeiten und den Zeiten zwischen diesen beiden und vermitteln ihren Schülern das Wissen um den Aufbau und die Spannungsbögen eines Stückes. Sie schulen deren Gehör, indem sie etwa verlangen, immer zum fünften Schlag einer ‚Phrase’, eines Abschnittes, mit einer Schrittsequenz zu beginnen oder musikalische Wiederholungen und Abwandlungen tänzerisch darzustellen. Und sie lassen andere Tanzpaare beobachten und deren Umsetzung eines Tangos nach verschiedenen Kriterien beurteilen: die Verbindung des Paares, ihren Rhythmus, ihren Tanzfluss und die Geschichte, die das Tanzpaar zur musikalischen Vorlage erzählt.
Joaquín Amenábar, argentinischer Bandoneonspieler, beschäftigt sich mit den Tanzpaaren aus einem anderen Blickwinkel: dem des Musikers. Er veröffentlichte Anfang 2009 das Buch „Tango – Zur Musik tanzen“; ein Werk für Tänzer ohne musikalische Ausbildung. Als Berufsmusiker, der auch über ein wenig Tanzkenntnisse verfügt, erläutert er rhythmische Grundlagen und stellt den strukturellen Aufbau von Tangoliedern dar. Seine Übungen sind gut geeignet, Tangotänzern einen Einstieg in die musikalische Welt zu ermöglichen. Die beigefügte DVD mit Tanz-
Tänzer müssen keine Musiker sein
„Wir tanzen die Musik“, lehrt der Musikprofi Amenábar und verlangt ein exaktes Umsetzen von Rhythmen und Melodien. „Wir tanzen zur Musik“, unterrichtet der Tanzprofi Naveira und stellt dagegen die tänzerische Freiheit in den Vordergrund. „Die Tänzer sind die 'Chefs im Ring'“, erklärt er, „denn sie bestimmen wie die Musik getanzt wird.“
In einem aber sind sich beide Lehrer einig: Tangotänzer benötigen keine umfassende musikalische Ausbildung. Neben dem Erlernen einfacher Grundelemente und der sinnlichen Wahrnehmung der Musik geht es darum, sie tänzerisch umzusetzen. Dafür müssen Gehör und Körper geschult werden. Das benötigt Zeit, ist aber für jedermann erlernbar.
Unabdingbare Voraussetzung: Die Tangotanzlehrer selbst müssen musikalisch kompetent und in der Lage sein, im Unterricht Musik und Tanz eng miteinander zu verbinden. Schrittsequenzen, Figuren, Verzierungen etc. müssen von Beginn an immer auch im musikalischen Kontext, über rhythmische Grundelemente hinaus, vermittelt werden.
Vom Hören zum Tanzen
Doch um zur Musik zu tanzen, bedarf es keiner komplexen Figuren. Deshalb sind als erstes die Tänzerinnen und Tänzer gefragt: Denn zur Musik tanzen, können nur diejenigen, die sie auch hören -